Alkoholkonsum ist in unserer Gesellschaft fest verankert. Auch wenn sich in den letzten Jahren alkoholfreie Getränke etablieren konnten und sich ein Gesundheitsbewusstsein mit reduziertem oder keinem Alkoholkonsum gerade auch unter jüngeren Menschen entwickelt hat, bleibt der Konsum die Norm und der Nichtkonsum die Ausnahme. Wer bei einem Apéro nicht trinkt, muss sich oftmals erklären, und nicht umgekehrt. Die individuellen und gesamtgesellschaftlichen Schäden und damit auch Kosten, die durch Alkoholkonsum entstehen, sind immens: Sie belasten unsere Volkswirtschaft jährlich mit 2,8 Milliarden Franken.
Alkohol ist neben Tabak die psychoaktive Substanz, die die meisten Schäden anrichtet. Wie können wir solche Schäden verringern oder verhindern und den Konsum generell reduzieren? Welche Prävention wirkt, oder wirkt am besten? Die Wirksamkeit von Programmen und Angeboten ist heute ein entscheidendes Kriterium bei der Vergabe von öffentlichen Geldern. Oft werden Evaluationen verlangt, die Aussagen zur Wirkung der unterstützten Angebote ermöglichen. Dabei ist zu bedenken: Kein Präventionsansatz kann alles, denn die Ansätze unterscheiden sich und verfolgen verschiedene Ziele.
Verhaltensprävention
Die Verhaltensprävention richtet sich an die einzelne Person. Sie zielt darauf ab, Menschen dazu zu befähigen, sich für ein gesundheitsförderliches Verhalten zu entscheiden. Es braucht Informationsvermittlung, doch diese allein ist keine ausreichende Prävention. Im Zentrum steht vielmehr der Erwerb von Lebenskompetenzen. Die Verhaltensprävention will den Selbstwert und das Selbstvertrauen der Person stärken, die Kommunikations- und Konfliktfähigkeit entwickeln, und Strategien zur Bewältigung von Enttäuschungen und Frustrationen vermitteln.
Besondere Bedeutung kommt beispielsweise Programmen zu, welche sich an Familien und insbesondere Eltern richten, im Setting Schule auf die sozialen Kompetenzen fokussieren, und in Gemeinden koordinierte präventive Arbeit mit verschiedenen Gruppen leisten. Verhaltensprävention erreicht naturgemäss nicht die ganze Bevölkerung, dafür kann sie zielgruppenspezifisch passende Programme umsetzen, welche durch die Stärkung der Persönlichkeit einen individuellen und gesellschaftlichen Mehrwert über die reine Alkoholprävention hinaus erreichen.
Verhältnisprävention
Die Verhältnisprävention zielt hingegen auf strukturelle Faktoren ab. Sie greift in politische und regulative Prozesse ein, um eine Verringerung des Alkoholkonsums zu bewirken. Im Vordergrund stehen dabei Themen wie Alterslimiten für den Verkauf, Einschränkungen der Verfügbarkeit (Verkaufsbeschränkungen), Einschränkungen der Werbung, die Besteuerung von Produkten und die Preisgestaltung. Die Wirkung solcher Massnahmen, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO als «best buys» bezeichnet werden, gilt als gut belegt. Die Massnahmen sind kosteneffektiv und haben ein hohes Potenzial, alkoholbedingte Schäden, wie nichtübertragbare Krankheiten und vorzeitige Todesfälle, zu reduzieren. Sie wirken sich zudem gesamtgesellschaftlich aus, und richten sich nicht an spezifische Zielgruppen.
Die Rolle der sozialen Normen
Soziale Normen beeinflussen massgeblich das Verhalten von Menschen im Umgang mit Alkohol. Sie können sowohl konsumfördernd als auch konsumbegrenzend wirken. Gerade junge Menschen orientieren sich stark am Verhalten Gleichaltriger sowie an Gruppen, zu denen sie gehören oder zu denen sie sich zugehörig fühlen. Sowohl verhaltenspräventive als auch verhältnispräventive Massnahmen können beeinflussen, wie Menschen über Alkohol denken und was sie als «normal» betrachten. So kann eine Kampagne zum Beispiel Fehlwahrnehmungen zum Thema machen («Die meisten Studierenden trinken weniger als du denkst»), was Studierende anregt, ihr Bild und ihr eigenes Verhalten zu überdenken. Oder das Fördern von alkoholfreien Alternativen und Veranstaltungen zeigt: Feiern geht auch ohne Alkohol, wodurch sich das eigene Bild der Norm verändert.
Alkohol zum Thema machen
Die eingangs beschriebene Akzeptanz und Erwartung von Alkoholkonsum in unserer Gesellschaft geht mit einer fehlenden öffentlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema einher. Die Kommunikation zum Thema Alkohol in der Schweiz wird vorwiegend durch die Alkoholindustrie bestimmt und ist auf Verkaufsförderung ausgerichtet. Eine nationale Kommunikation im Rahmen der Bundesstrategie Sucht fehlt, mit Ausnahme des «Dry January», gänzlich.
Entsprechend gibt es weder eine systematische Vermittlung von Informationen über das Schadenspotential noch eine Sensibilisierung für die Problematik des Konsums gegenüber der Bevölkerung. Diese wären wichtige Voraussetzungen für eine politische Diskussion mit dem Ziel einer verstärkten Regulierung. Zudem stellen sie eine wichtige Ergänzung zu verhaltenspräventiven Ansätzen dar.
Fazit: gemeinsam stark!
Die Debatte um Verhältnis- und Verhaltensprävention ist keine Frage des „Entweder-oder“, sondern des „Sowohl-als-auch“. Denn nur wenn wir sowohl die Verhältnisse verändern als auch die Individuen stärken, kann Prävention ganzheitlich wirken und ihren gesamtgesellschaftlichen Nutzen entfalten. Dazu gehört stets auch Fakten zu benennen, Wissen zu vermitteln und eine faktenbasierte öffentliche Kommunikation zum Thema zu führen.
Monika Huggenberger, Bereichsleiterin Facharbeit und stellvertretende Geschäftsführerin Blaues Kreuz Schweiz bis 31.07.2025